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Natura 2000 Klassenzimmer: mehr als Fridays for Future

Waldkrise, Waldsterben, Entwaldung, Waldbrand – und auf der anderen Seite Waldbaden, Waldliebe, Waldbesetzung, Klimastreik.

Die Natur bzw. der Wald, braucht Partner, junge Partner. Partner, die seinen wahren Wert kennen und schätzen, die für ihn kämpfen, die sich für ihn einsetzen, die ihn verteidigen – mehr denn je, dringender denn je. Und junge Menschen brauchen die Natur, brauchen Abenteuer, Bewegung, Luft zum Atmen und einen Raum, um über sich hinauszuwachsen.

 

Das Projekt: Natura 2000 Klassenzimmer

Ein vorbildliches Projekt, das sich diesem Zweck verschrieben hat, ist das „Natura 2000 Klassenzimmer“, das mehrtägige Naturschutzeinsätze von Schulklassen im Südschwarzwald umfasst. Anke Haupt, Erziehungswissenschaftlerin, Erlebnispädagogin, Umweltpädagogin und seit 2009 Leiterin des Projektes, wirkt authentisch, fröhlich, praktisch, lebensnah und überzeugend. Sie vermittelt zwischen den Förstern, Landwirten, Geldgebern und jungen „Arbeitskräften“. Im Entstehungs- und Etablierungsprozess war es unverzichtbar, eine Kontinuität in der Kommunikation mit den Akteuren herzustellen, allen voran mit den Landwirten, deren Flächen von den Teilnehmenden gepflegt werden. Wie so oft lebt auch eine solche Initiative vor allem vom Persönlichen, Zwischenmenschlichen. 

Mittlerweile ist Anke Haupt ein bunter Hund im Hotzenwald, in dem die meisten vom Nutzen des Projektes wissen. Überzeugungsarbeit ist längst nicht mehr nötig, im Gegenteil: Immer mehr interessierte Höfe kommen auf die Organisatorin zu, um mit ihren Flächen am Projekt teilnehmen zu können.

Finanziert wurde das Ganze zunächst von der Europäischen Union in Kooperation mit der Stiftung Naturschutzfonds beim Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg, später vom Regierungspräsidium Freiburg, Referat Naturschutz. Im Jahr 2019 wurde das Projekt schließlich an das Biosphärengebiet Schwarzwald übergeben. Zuletzt wurden dem Projekt internationale Anerkennung und Aufmerksamkeit durch die Auszeichnung der UN-Dekade Biologische Vielfalt zuteil. In der zwölfjährigen Geschichte des Natura 2000 Klassenzimmers haben bereits knapp 150 Schulklassen ihren Beitrag zur Artenvielfalt und zum Naturschutz geleistet und wären die Mittel nicht begrenzt, wären es vermutlich deutlich mehr gewesen.

Was also wie ein Geheimtipp klingt, ist in Wirklichkeit (zum Glück) längst keiner mehr.

 

Mehr als ein Friday for Future

In Zeiten, in denen Schülerinnen und Schüler lieber auf die Straße gehen, um für das Klima zu demonstrieren, als in der Schule zu sitzen, lohnt sich die Überlegung, wie man diese Tendenzen in die Schule integrieren kann, wie man das zunehmende Umweltbewusstsein der jungen Menschen als Schule ernst nehmen kann.

Es ist ja so: Exkursionen macht jede Klasse, viel Geld ist oft nicht da, Klassengemeinschaften sind nicht selten marode und erfordern ohnehin Teambuilding-Aktivitäten. All das ist mit einem dreitägigen Arbeitseinsatz im Wald bestens vereinbar. Schulen, die in der Nähe des Südschwarzwalds angesiedelt sind, können täglich an- und abreisen, für alle anderen stehen von der Jugendherberge zur Selbstversorgerhütte diverse Unterkünfte verschiedener Komfortklassen zur Verfügung. 58 Euro kostet die Betreuung inkl. Verpflegung pro Teilnehmer*in – zuzüglich Unterkunft, An- und Abreise bei Schullandheimaufenthalten, für Schulen aus der Region Waldshut ohne Übernachtung sogar nur 10 Euro.

 

Natürlicher Sozialkompetenzerwerb in der Natur

Jeder Einsatz beginnt mit einem Eingewöhnungstag draußen und erlebnispädagogischen Spielen, die die Gemeinschaft stärken und die jungen Menschen mit der Natur in Verbindung bringen. An den zwei anderen Tagen folgt dann der vorher besprochene Landschaftspflegeeinsatz im Hotzenwald. Anke Haupt legt Wert darauf, dass die jungen Menschen den Umgang mit Werkzeugen lernen und dass vor allem auch Mädchen zu handwerklichen Tätigkeiten ermutigt werden.

Einen Baum – auch einen kleinen – alleine zu fällen, ist ein unmögliches Unterfangen für die Jugendlichen und so sind überhaupt keine künstlichen Gruppenarbeitsmethoden nötig, um die Klasse dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten: Es geht einfach nicht anders.

Ebenso wichtig ist es der Umweltpädagogin, dass die jungen Arbeitskräfte begreifen, was und warum sie das tun, was sie tun. Dass Regenwetter dabei kein Grund ist, aufzugeben, versteht sich von selbst. Augenzwinkernd fügt Anke Haupt jedoch hinzu, dass es natürlich Mittel und Wege gibt, die jungen Menschen bei Laune zu halten, zum Beispiel indem das Mittagessen vorgezogen oder ein Spiel eingeschoben wird. À propos Mittagessen: Auch hier wird sichtbar, wie wohlüberlegt das Programm ist: Gekocht wird gemeinsam am Feuer und in den Suppentopf kommt auch nur, was regional und saisonal verfügbar ist.

 

Pflicht und Kür, Körper und Geist

Betreut werden die Schulklassen von zwei Teamer*innen, die einen erziehungswissenschaftlichen bzw. pädagogischen sowie einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben. Sie haben ein Auge darauf, dass Reflexion ein fester Bestandteil des Programms ist, etwaige Schwierigkeiten zur Sprache kommen und gemeinsam gelöst werden. Worauf der fachliche Schwerpunkt liegt, hängt dann ganz von der Schulklasse, deren Vorwissen und Bedürfnissen ab. Eine 9. Klasse interessiert sich beispielsweise für den Klimawandel und bekommt die Gelegenheit, im Wald mehr darüber zu erfahren, während einer 7. Klasse andere Themen wichtiger sind.

 

Und wenn am Ende eines Arbeitstages die Muskeln von der körperlichen Arbeit nachglühen, kommt bei den Jugendlichen schonmal Stolz auf: Stolz, durchgehalten zu haben, Stolz, gemeinsam etwas Gutes und vor allem wirklich Sinnvolles getan zu haben. Denn neben dem Nutzen für die Natur ist es auch so, dass manche Landwirte auf die Hilfe der Jugendlichen angewiesen sind, um ihre Flächen zu pflegen.

Auch wenn es nur ein Anfang ist, auch wenn solche Projekte eigentlich viel länger dauern sollten und viel flächendeckender möglich sein sollten, so sind die drei Tage im Südschwarzwald auf jeden Fall gut investiert. Wer jetzt Interesse hat, sollte schnell sein, dann Anfang Oktober sind die meisten der 17 Schulwochen zwischen Mai und Oktober bereits ausgebucht.

 

Kontakt 

Per Telefon 0761/51690029 oder Mail zu Anke Haupt

 


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© Clara Baumgartner