„Damals in Frankreich…“ oder: Warum „Austausch“ heute noch viel mehr ist

 

Ein Gespräch mit Bernd Böttcher, dem Projektkoordinator von „Austausch macht Schule“

 

Jeder und jede von uns hat wahrscheinlich einen oder mehrere Berührungspunkte mit dem Wort  (Schüler*innen)Austausch“, hat vielleicht selbst einmal teilgenommen, einen Austausch organisiert, Austauschschüler*innen aufgenommen oder Kinder vorübergehend ins Ausland verabschiedet. Wetten, dass die meisten schulischen Aufenthalte dabei an ein sprachliches Fach angedockt waren und das Erlernen, Anwenden oder Vertiefen von Sprachkenntnissen wichtiger Bestandteil war? Zumindest in meiner Welt war das so. 

 

Heute weiß ich: Es gibt viel mehr Arten von Austauschen und jede*r sollte die Chance haben,  mitzumachen – besser heute als morgen und ja, auch trotz Corona. Davon hat mich der  Projetkoordinator der Initiative „Austausch macht Schule“, Bernd Böttcher, überzeugt.

 

Unser Gespräch ist hier nachzuhören, aber falls du lieber liest, bitteschön: 

 

Eine Plattform mit Vision

 

Die Initiative Austausch macht Schule entstand aus dem Bedarf heraus, die vielen Träger-Initiativen, welche Austausche anbieten, darunter z. B. das Deutsch-Französische Jugendwerk oder die UK-German-Connection, zu bündeln und damit eine Plattform zu schaffen, auf der in erster Linie Lehrkräfte Informationen, Beratung und Unterstützung erhalten.

 

Daneben tritt die Initiative als Sprachrohr in Kultusministerien und bei Treffen mit Politiker*innen auf, um ihrer Vision und ihren damit verbundenen Forderungen zur Umsetzung zu verhelfen: Austausche bzw. Erfahrungen internationaler Mobilität sollen für alle Schüler*innen zugänglich und ein fester Bestandteil von Schule sein.

 

Dafür fordert die Initiative von der Politik, Netzwerke zu etablieren, finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen, Schüler*innen in die Gestaltung von Austauschen einzubinden sowie die passenden Rahmenbedingungen in den Lehrplänen und der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften sicherzustellen. Sie hat gute Gründe dafür, denn … 

 

Jugendaustausch wirkt! Wirklich!

 

Wer sich fragt, was Schüler*innen nach der Schule erwartet und wie die Schule sie darauf vorbereitet, trifft höchstwahrscheinlich auf ein immer größer werdendes schwarzes Loch. 

 

Mit wie viel Welt kommen die jungen Menschen denn tatsächlich in Kontakt während ihrer Schulzeit? Wie schlagen sich zunehmende Globalisierung und Internationalisierung in den Lehr- und Bildungsplänen und damit in den Klassenräumen wirklich nieder? Während auf der einen Seite eine kleine Zahl an jungen Menschen jedes Jahr ein anderes Land kennenlernt, trauen sich andere Kinder bis zum Ende ihrer Schulzeit (oder länger) nicht einmal über die Grenzen ihres Stadtteils hinaus!

 

Diversität und kulturelle Heterogenität in manchen Schulen sind nicht zu verachten, ja. Nichtsdestotrotz ist es etwas ganz anderes, Menschen in einem fremden Land zu begegnen, zu sehen, dass große Vielfalt doch Gemeinsamkeiten beherbergt, dass ich mich als Mensch mit Menschen verständigen und orientieren kann. Studien belegen, worüber ohnehin Konsens herrscht: „Jugendaustausch wirkt“  (S. 78) – auf persönliche und interkulturelle Kompetenzen, insbesondere auf Jugendliche, die vorher über geringe Handlungskompetenzen verfügten – und all das teilweise sogar generationsübergreifend.

 

Jugendaustausch: ein höchst zukunftsorientiertes Lernformat

 

Üblicherweise war die Fremdsprache früher ein, wenn nicht der Motivator, wenn es um die Entscheidung für einen Austausch ging. Selbstverständlich gehören interkulturelle Erfahrungen, gehört das Sich-Zurechtfinden, letztlich das Leben in einem fremden Land auch dazu. Und doch ist das etwas, was sich nicht jede*r Schüler*in ohne weiteres zutraut.

 

Genau da setzt die Initiative an: einen erweiterten Austausch-Begriff zu etablieren. Denn hinter dem Wort „Austausch“ verbergen sich so viel mehr und vor allem niederschwellige Möglichkeiten für alle Schüler*innen, mit der Welt um sie herum in Kontakt zu kommen: als Arbeitsgruppe, als Klasse, als ganze Schule! Verständlicherweise können sich nämlich längst nicht alle Schüler*innen (und Eltern) einen individuellen Aufenthalt in einem fremden Land vorstellen.

 

Aber, so Bernd Böttcher, man könnte sich als Schule überlegen, ob Klassenfahrten mit eher touristischem Charakter nicht zu internationalen Mobilitäten mit Begegnungscharakter werden könnten, beispielsweise an Orte, in denen man eine Partnerschule hat. Solche Partnerschaften hängen allzu oft von der Eigeninitiative einzelner Lehrkräfte ab, sollten langfristig aber besser im Schulprogramm verankert und mit Unterstützung der Schulleitung geplant werden.

 

Des Weiteren kann jungen Menschen in verschiedenen, auch nichtsprachlichen Fächern eine internationale Austauscherfahrung ermöglicht werden, mitunter ohne, dass besondere Sprachkenntnisse von Nöten wären. Böttcher erklärt dies eindrucksvoll anhand des Austauschprojekts zwischen dem Hamburger Gymnasium Hoheluft mit der Tallinna Rahumäe Põhikool in Estland. In einem projektbasierten Lernformat näherten sich beide Schulen dem Thema Digitalisierung an und erwarben Robotic- und App-Programmierkenntnisse, wodurch eine Quiz-App entstand. Nebenbei lernten sie neue Lernorte wie Museen oder Universitäten kennen und bekamen nicht zuletzt Einblicke in die Lebenswirklichkeit junger Menschen in einem anderen Land.

  

Auch Berufliche Schulen, wo der Schwerpunkt meist nicht auf dem Fremdspracherwerb liegt, können länderübergreifend Brücken bauen, an deren Beginn die handwerklichen Fertigkeiten stehen, die die Jugendlichen gemeinsam haben.  Im Rahmen einer Partnerschaft kann dies zu einer Freundschaft und Verbundenheit auf menschlicher Ebene erwachsen – dort, wo vorher vielleicht kaum Interesse bestand, ins Ausland zu gehen. 

 

Jetzt ins Tun kommen – mit Geld, Zeit und Mut

 

So vielfältig wie die Schulen selbst sind die Wege, die zu mehr Internationalität in Schulen führen. Möglicherweise beginnen sie mit einer Idee, einem Kontakt, einem Bedarf, einer Frage oder einer Erkenntnis – und da ist quasi alles möglich.

Nur: Solange Austauschkonzepte für jede Schule nicht – wie zum Beispiel in Singapur – vorgeschrieben sind und keine personellen sowie zeitlichen Ressourcen von den einzelnen Bundesländern bereitgestellt werden, ist es für Bildungsakteur*innen mühsamer, Austausche zu organisieren. Deshalb mahnt Böttcher zu kleinen Schritten. Hilfreich ist es außerdem, den Weg nicht alleine zu gehen und sich der Unterstützung anderer Kolleg*innen und natürlich der Schulleitung sicher zu sein. Mit eigener Begeisterung weckt man dann meist auch die Neugierde und Bereitschaft der Jugendlichen und der Elternschaft.

 

Idealerweise ist der Anspruch einer Schule, allen Jugendlichen internationale Erfahrungen zu ermöglichen, im Schulprofil / Schulcurriculum verankert. Das erleichtert die Durchführung weiterer Projekte und stärkt die Organisator*innen – ganz abgesehen davon ist es eine wirksame Botschaft nach außen, wenn sich eine Schule auf den Weg in Richtung Welt macht.

 

Und der Kostenpunkt? Weil der Etat für Schüleraustausche im Programm Erasmus+ in den nächsten sieben Jahren verdoppelt wurde, müsse niemand Sorgen haben, ein Projekt (zumindest in der Europäischen Union) aufgrund finanzieller Engpässe nicht durchführen zu können, beruhigt Böttcher, – im Gegenteil: Die Gefahr, dass das Geld nicht abgerufen wird, scheint höher zu sein, als dass es nicht reicht.

 

Wichtig zu betonen ist, dass es zahlreiche Stellen gibt, die den Lehrkräften oder Schulleitungen auf diesem Weg Information, Beratung und Hilfe anbieten. Auf der Website der Initiative „Austausch macht Schule“ werden viele Anregungen bereitgestellt, hier finden sich aber auch Kontakte zu zahlreichen Fach- und Förderstellen in Deutschland.

 

Das große Corona-Aber – oder: Wenn eine Vision größer ist, als die Hürden, denen sie sich zu stellen hat

 

Reisebeschränkungen, Risikogebiete, Distanzunterricht – alles klare Gegenteile zum Erleben von Welt, wie es „Austausch macht Schule“ fördern möchte. Oder?

Ja und nein, entgegnet Bernd Böttcher, dessen Kolleg*innen im Jahr 2020 leider vor allem mit Stornierungsanliegen zu tun hatten. Und dennoch: Während E-Twinning und virtuelle Begegnungen vor den aktuellen Einschränkungen eher eine Nebenrolle spielten, genießen diese Tools und Methoden nun aber eine rege Nachfrage, werden immer professioneller gestaltet und mit Leben erfüllt. Angesichts von Corona erleben wir hier die Möglichkeiten von Austausch auch im Digitalen.

 

Und zwar nicht nur, weil es nicht mehr anders geht, sondern, weil sie auch Stärken haben, die vorher nicht beachtet wurden – es ging ja auch anders und die digitalen Möglichkeiten von Schulen waren weniger entwickelt als vor der Pandemie. Aber ein Kennenlernen kann sehr wohl virtuell ablaufen und dadurch sogar entspannter und unkomplizierter werden, meint Böttcher.

 

Auch für projektbasierte Lernformate, die im internationalen Kontext durchgeführt werden, müssen Reisebeschränkungen nicht das Ende bedeuten: Digitale Technik ermöglicht das Arbeiten an gemeinsamen Projekten und bereitet Schüler*innen somit auf die Arbeitswelt vor, in der genau diese Fach- und Führungskompetenzen gefragt sein werden.

 

Doch dass viele Lehrkräfte momentan ihren Schwerpunkt auf die Aufrechterhaltung des Distanzlernens in den einzelnen Fächern setzen, kann Bernd Böttcher trotzdem verstehen. Außerdem geht er davon aus, dass das, was jetzt funktioniert, auch nach Aufhebung der aktuellen Einschränkungen Bestand haben wird. Dann könnten „echte“, analoge Begegnungen mit digitalen Komponenten ergänzt werden. In diesem Falle hätte Corona sogar zu einer Erweiterung und Vertiefung internationaler Erfahrungen geführt.

 

Um diesen Prozess zu unterstützen, haben die Fach- und Förderstellen für Jugend- und Schüleraustausch, darunter „Austauscht macht Schule“, die Austauschplattform dina international entwickelt, auf der auch virtuelle Schüler*innenbegegnungen mit Partnerschulen stattfinden können. Neben einem Videokonferenz-Tool wird man Dokumente austauschen und Texte verschicken können, alles natürlich unter Beachtung des europäischen Datenschutzes. Die Webseite läuft derzeit noch im Probebetrieb. Sie versteht sich als Ergänzung und Entlastung zu anderen bestehenden Plattformen.

 

Gute Aussichten also – jetzt liegt es an den Ministerien, Lehrkräften und Schulen, ins Tun und vor allem ins Ermöglichen zu kommen. 

 


 

Kontakt

 

Bernd Böttcher - Projektkoordinator

Telefon:                 +49 (0) 40 87 88 679-31

E-Mail:                    b.boettcher@austausch-macht-schule.org

WWW:                     www.austausch-macht-schule.org

 

© Clara Baumgartner